Freitag, 17. September 2021

Hallo Adolf!

"Seit gestern sind die Sommerferien vorbei, der Start war wundersam meckerfrei, alles gut. Nun kommen wir wieder in normale Fahrwasser und ich ergreife die Gelegenheit, Dir zu antworten. Ich nehme Dein Angebot sehr gerne an. Die Fülle der Themen überrollt mich gerade ein wenig. Wo ich Unterstützung gebrauchen könnte, ist bei der Frage, welche Aufforstungskampagne/-organisation denn nun wirklich taugt. Das ist ja ein komplexes Thema. Geht die Antwort per Mail? Wenn das zu aufwendig wird, schick ich Dir gerne meine Telefonnr.! LG"

Liebe XXX,

wo soll ich nur anfangen? Hattest du in der Oberstufe Naturwissenschaften oder Erdkunde als LK? Ich kann mich nicht  mehr erinnern. Bremse mich also aus, wenn ich Zeug erzähle, was dich nicht interessiert oder wofür dir Voraussetzungen fehlen. Überspringe Absätze, die nichts Neues für dich enthalten.

Das Thema Aufforstungen ist tatsächlich gerade in der letzten Zeit sehr umstritten. 

Ich beschäftige mich (und damit zeitverzögert auch dich) zunächst mit dem Aspekt der Artenvielfalt, der eng verknüpft ist mit den Aspekten Stabilität und Widerstandsfähigkeit.

Folgende grundsätzlich verschiedene Wege sind zu unterscheiden:
Erstaufforstung: Das Anpflanzen von Forsten an Stellen, an denen vorher andere Ökosysteme vorherrschten. Also zum Beispiel das Aufforsten afrikanischer Savannen. Ziemlich Umstritten, da sich ja vorher in Jahrtausenden andere Ökosysteme durchgesetzt hatten, die hochgradig an den entsprechenden Standort, an dessen Klima und Boden, angepasst hatten. Es steht zu befürchten dass solche Aufforstungsversuche langfristig scheitern.

Wiederaufforstung: Weniger umstritten, hier kommt es auf das „Wie“ an. Aber wie so häufig in der Wissenschaft ist man sich auch hier uneinig: Während die Einen behaupten, einen Kahlschlag oder eine Windbruchfläche in Mitteleuropa solle man angesichts der fortschreitenden Klimaveränderungen lieber gleich mit trockenresistenten Douglasien aufforsten, wettern die Anderen, dass unbedingt die hier ohnehin von Natur aus dominierende Buche hingehört, die sich ihr Mikroklimas selbständig um bis zu zehn Grad herunterkühlt, dabei auch anfeuchtet und somit die forstwirtschaftliche Universalwaffe gegen den Klimawandel darstellt. Eine Variante dieser Meinung wird von der Hosentaschenfraktion vertreten, zu der auch unser gemeinsamer Schulkamerad Peter Wohlleben gehört: Hände in die Hosentaschen, die Natur macht das schon: Im Schatten der von Borkenkäfern und Trockenheit getöteten Altbäume gedeihen verschiedene andere Baumarten, nach und nach wird sich die Buche von selbst durchsetzen und ein artenreicher und an den Standort angepasster Buchenmischwald wird entstehen. 

Auch tropische Regenwälder könnte man aufforsten, aber die ursprüngliche Artenvielfalt ist dann für immer verloren, wenn man eine größere Fläche abgefackelt hat. Zu komplex sind die ökologischen Beziehungen, zu groß die Artenvielfalt, als dass sich das reparieren ließe. Im Regenwald gibt es viele Arten, die nur hier oder nur in einem bestimmten Teil davon existieren, dabei aber eine wichtige Rolle im ökologischen Beziehungsgeflecht spielen. Da gibt es Fledermäuse, die eine ganz bestimmte Blüte bestäuben, die sonst niemand Anderes bestäubt. Stirbt diese Fledermaus aus, ist es auch um die Blütenpflanze geschehen. Zugegeben: Dieses Beispiel ist eine sogenannte didaktische Lüge. Es stammt eigentlich aus den Wüsten Mexikos, ist aber einfach zu anschaulich, um es hier nicht zu benutzen. Die Blütenpflanze in diesem Beispiel ist die Argavenart, aus der Tequilla gebrannt wird, und genau das hätte die beiden Arten fast aussterben lassen: Saufen für das Artensterben - das muss man sich einmal geben.

Fassen wir zusammen: Man kann Wald- oder andere Flächen aufforsten, aber es ist schwierig, ein stabiles und widerstandsfähiges System hinzubekommen. 

In Mitteleuropa gibt es von den Arten des ursprünglichen Urwaldes, der sich hier nach der letzten Kaltzeit gebildet hatte, noch genügend Exemplare - es waren ohnehin nicht so viele Arten. Es gibt Rückzugsgebiete, aus denen diese wieder einwandern können. In den Tropen macht man jedoch z. Zt. Tabularasa. Der Regenwald wird flächendeckend abgeholzt und die Artenvielfalt, die noch nicht einmal näherungsweise erforscht wurde, unwiederbringlich zerstört. Soviel zum Thema Artenvielfalt und Stabilität. Brauchen wir noch.

Was dich in unserem Zusammenhang vermutlich viel mehr interessiert ist die Frage, wie mit Aufforstungsprojekten die Erderwärmung gebremst werden kann, stimmt’s?

Theoretisch klingt das ja gut: Bäume bestehen überwiegend aus Kohlenstoff und deshalb binden Wälder auch eine ganze Menge davon. Aber das dauert natürlich ganz schön lange. Außerdem gibt es da noch einen anderen Haken: Sterben die Bäume irgendwann, werden sie i. d. R. innerhalb kürzester Zeit wieder zersetzt und der Kohlenstoff wird wieder freigesetzt, und zwar in Form von CO2 oder Methan. Ist ein Wald erst einmal „ausgewachsen“ bindet er keinen zusätzlichen Kohlenstoff, da sich die Aufnahme und die Abgabe von CO2 etwa die Waage halten. Um mit Wäldern dauerhaft CO2 aus der Atmosphäre zu holen, müsste man die Bäume regelmäßig schlagen und sie dauerhaft dem Kohlenstoffkreislauf entziehen. In Mooren zum Beispiel geraten umgefallene Bäume unter Luftabschluss, wenn sie umfallen. In dem sauren Moorwasser können sich Bakterien kaum entwickeln, die Bäume und anderes Pflanzenmaterial werden so dauerhaft konserviert. So entsteht Torf. Wenn man das Zeug dann mit Sedimenten bedeckt und lange genug liegen lässt, entsteht erst Braunkohle und dann Steinkohle. Man muss lediglich ein paar hundert Millionen Jahre warten.

Ich schweife ab.

Unabhängig davon ist in einem alten Wald natürlich viel Kohlenstoff gespeichert. Und solange dieser Wald stabil funktioniert, bleibt der auch gespeichert. Und jetzt kommen wir auf die Bewertung der Stabilität und Verwundbarkeit Aufforstungsprojekte zurück: Entsteht daraus ein stabiles Ökosystem, ist es durchaus möglich, mit einem Wald eine Menge CO2 zu binden. Fliegt mir der Wald aber beim nächsten Sturm um die Ohren, weil die Wurzeln der Bäume geschädigt sind (oder Borkenkäferplage oder Pilzbefall, oder, oder, oder), habe ich plötzlich jede Menge Totholz, das von Mikroorganismen abgebaut wieder zu CO2 wird. Oder über den Umweg Feuerholz. 

Die besten „Wir kämpfen mit Bäumen gegen den Klimawandel“-Projekte sind jedoch die, welche verhindern, dass alte Bäume und Wälder abgeholzt werden. Wenn du als wirklich Zeit oder Geld in Bäume investieren willst, um deinen Nachkommen eine lebenswerte Erde zu erhalten, dann kümmere dich um Bäume, die es schon gibt. Wenn du z. B. die Aktivisten, die im Hambacher Forst im Rheinischen Braunkohlerevier unterstützt, dann hilfst du der Atmosphäre gleich doppelt: Einerseits verhinderst du das Fällen von sehr, sehr alten Bäumen und damit die Freisetzung des darin gespeicherten Kohlenstoffs, andererseits verhinderst du auch, dass der fossile Kohlenstoff, der in Form von dicken Kohleflözen darunter liegt, wieder ins Spiel gebracht wird. 

An dieser Stelle kommen wir auch wieder auf Peter Wohlleben zurück. Kennst du seine Geschichte? Er wurde ja lange genug durch alle Talkshows gereicht. Also überlies den folgenden Absatz, wenn du sie schon kennst. Er war ein vom Land NRW verbeamteter Revierförster im winzigen Eifeldorf Hümmel. Dort entdeckte er ein Waldstück, in dem die dort ansässigen Buchen wohl schon seit längerer Zeit von mehreren seiner Vorgänger übersehen worden waren - sie hatten bereits weit über 200 Jahre auf dem Buchenbuckel. Für eine Buche ist das natürlicherweise kein Alter, die können noch viel älter werden. Aber nicht so in deutschen Forsten. Dort werden sie höchsten 160 Jahre alt. (Peter möge mir verzeihen, wenn ich diese Zahl möglicherweise falsch abgespeichert habe.) Dann werden sie geerntet. Peter bekam von seiner vorgesetzten Dienstbehörde die Anweisung, diese überaus wertvollen Bäume sofort zu ernten. Das wollte er aber aus verschiedenen Gründen nicht. Er kündigte, ließ sich vom zuständigen Bürgermeister als kommunaler Förster anstellen mit dem Ziel, mit den Bäumen Gewinn zu erwirtschaften, ohne sie zu fällen. Und das gelang ihm auch, und zwar nachhaltig. Ich zähle jetzt nicht alles auf, womit er für seinen Wald Geld macht, aber eine ziemlich raffinierte Methode will ich doch erzählen: Er hat den ältesten und schönsten Teil „seines“ Buchenwaldes zum Ruheforst erklären lassen. Dort kann man sich für den Gegenwert des nicht gefällten Holzes eine Grabstelle pachten, und zwar für 99 Jahre. Die Buche, unter der man dann als Asche in einer kompostierbaren Urne verscharrt wird, wird dadurch automatisch zum Grabmal. Bämm! Ab sofort gelten nicht mehr die Gesetze der Forstwirtschaft, sondern das Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen. Der Baum darf in den nächsten 99 Jahren nicht gefällt werden. Und zwar selbst dann, wenn das Landesforstamt jemals wieder den Revierförster stellen sollte. Meine Asche als Lebensversicherung und Dünger für eine Buche mittleren Alters. Ich finde die Idee ganz zauberhaft.

Ich vermute, das ist nicht das, was du hören wolltest, oder? 

Ich versuche es anders.

Faustregeln: 

  • Erhaltung von Wald geht über Aufforstung. 
Bestehende Naturwälder sind seit Jahrtausenden ökologisch stabil und speichern deshalb den gebundenen Kohlenstoff dauerhaft. Es gibt verschiedene Projekte, um bestehende Wälder oder auch einzelne Bäume zu erhalten: Patenschaften für Flächen, zum Beispiel. Kauf‘ dir doch einen Quadratmeter Regenwald. Die gemeinnützigen Organisationen, die so etwas anbieten garantieren, dass die von ihnen im Namen der Spender gekauften Waldflächen geschützt werden. Backe den Aktivisten im Hambacher Forst einen Kuchen, liefere ihn persönlich ab und bedanke dich für die gefährliche und wichtige Arbeit, die dort geleistet wird. Nimm’ einen von ihnen in den Arm und drücke ihn herzlich. Die machen wirklich einen tolle Job. Vielleicht triffst du da auch Peter. Achte beim Möbelkauf auf Holz aus zertifizierter, nachhaltiger Forstwirtschaft. Und, lass‘ uns offen miteinander reden: Unser Mindesthaltbarkeitsdatum ist auch bald abgelaufen - kauf‘ dir doch eine Grabstelle in Peters Ruheforst.
  • Wiederaufforstung von Naturwäldern geht über die Aufforstung von Nutzholzplantagen oder Erstaufforstung. Nur Naturwälder sind ökologisch stabil und garantieren dauerhafte Bindung von CO2. Solche Projekte werden von verschiedenen NGOs durchgeführt und können durch Spenden unterstützt werden.
  • Aufforstung von grünen Mauern, die die Ausbreitung von Wüsten verhindern, sind auch ganz schön. Passiert z. Zt. zum Beispiel in China und quer durch Afrika. Dient eher der Hungerbekämpfung als der CO2-Bindung, aber eigentlich hängt das alles zusammen. Aber das haben wir ja alle bereits Ende der 70er in Erdkunde gelernt und das wäre Thema eines andern Briefs.

Bei der Auswahl eines zu unterstützenden Projektes solltest du darauf achten, dass die unterstützte Organisation den Status „gemeinnützig“ vorweisen kann. Das kann man daran erkennen, dass sie Spendenbescheinigungen für das Finanzamt ausstellen kann. Das bietet ein Mindestmaß an Sicherheit, dass gespendete Gelder nicht in dunklen Kanälen versickern.

Aber ich fürchte trotzdem, dass ich dir deine Frage nicht wirklich beantwortet habe. Aber das wollte ich auch nicht. Ich wollte deinem Gehirn lediglich Futter geben, damit du die Frage selbst beantworten kannst. Ich kenne dich. Du bist schlau. Du kannst das. Hier noch etwas zum Lesen, aber das ist nur ein Einstieg:

https://www.welthungerhilfe.de/welternaehrung/rubriken/klima-ressourcen/aufforstung-gegen-den-klimawandel/

Gehab’ dich wohl, pass’ auf dich und deinen Nachwuchs auf (der war noch so klein bei unserer letzten Begegnung, und ist heute vermutlich auch schon baumlang…)


Lieber Gruß

Adolf

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