Donnerstag, 22. April 2021

"Hallo Adolf,

...wie geht es? Ich kann mir vorstellen, dass das letzte Jahr beruflich eine Herausforderung war. 

Für meine Frau und mich war es beruflich eigentlich gut zu bewältigen. Sie ist systemrelevant und ich habe die Wahl Büro oder Homeoffice. Schwieriger ist dann schon das Drumherum. Einkaufen, Einschränkungen bei Besuchen usw. Unsere Eltern sind hochbetagt, meine Mutter konnte seit November keinen Besuch empfangen. 

Fotografisch ging auch nicht viel. Frankreich und Belgien sind zu. Ich bemerkte dieser Tage zu einem Freund, dass ich jetzt nachvollziehen kann, wie die DDR Bürger sich gefühlt haben müssen, weil sie nicht reisen durften.

Beste Grüsse

Erich"

Hallo Erich,

wir kennen uns zwar nicht im realen Leben, aber es ist trotzdem immer wieder schön, von dir zu lesen. Danke für deine Nachricht.

Als ich mich als neunjähriger Bengel dazu entschlossen habe, Lehrer zu werden, war meine Motivation die Freude am Umgang mit Menschen. Ich habe nie einen anderen Berufswunsch gehabt, auch wenn's in meinem Leben öfter mal Umwege und Warteschleifen gegeben hat. Diesen Entschluss habe ich niemals bereut. 

Corona hat das radikal verändert. 

Was gerade läuft, ist mit meinem Verständnis von diesem Beruf nicht mehr vereinbar: 

  • Homeschooling (mit all den grausigen Folgen, die das in den sozial ohnehin schon abgehängten Familien hat.)
  • Wechselunterricht (*Augenroll*) Nur mal so als Beispiel: Ich habe zwei Biologie-Grundkurse in der 12. Klassse. Im Wechselunterricht bedeutet das, dass ich de facto vier parallele Lerngruppen betreue. Ohne Planungssicherheit, denn schon in der nächsten Woche kann wieder alles ganz anders sein.
  • Das bleibt auch nicht ohne Folgen für die Kinder. Ein weiteres Beispiel: Neulich hatte ich nach vielen Wochen im Lockdown zum ersten Mal meine achte Klasse im Wechselunterricht. Das war echt gespenstisch. Ich meine... eine achte Klasse: Da geht es normalerweise munter über Tisch und Bänke. Da werden Mäppchen geklaut, da wird an den Haaren gezogen und da werden Briefchen geschrieben und unter der Tischen durchgereicht. (Willst du mit mit gehen? Ja, nein, vielleicht) Und was habe ich erlebt? Die Halbklasse saß vor mir, die Hände auf dem Tisch gefaltet und die Kinder haben mich im unterkühlten Klassenzimmer schweigend aus leeren Augen angeglotzt. Ich hätte am liebsten geheult. 

Das ist nicht mehr der Beruf, den ich mir ausgesucht habe und für den ich brenne.

Und ja: Ich weiß, dass das auf sehr hohem Nieveau genörgelt ist. Ich bekomme weiterhin in voller Höhe mein Gehalt, ich muss mir keine Sorgen um meine Existenz machen. Den selbständigen Geschäftsleuten geht es da schon deutlich schlechter. Deshalb haben die auch mein volles Mitgefühl.

Aber:

Ich kann nicht mehr. Seit mehr als einem Jahr arbeite ich in permanentem Durchzug, weil Luftfilteranlagen wohl in dieser Zeit nicht zu beschaffen sind. Duchzug im Sommer ist doof, aber erträglich. Doch arbeite mal im Durchzug, wenn draußen Minusgrade herrschen. Ich selbst bin ja eher frostresistent, denn ich bin mit einer erheblichen, schwer auszukühlenden Körpermasse gesegnet. Doch wenn vor mir ein 30-Kilo-Mädchen bibbert und durchfriert, dann  kommen mir die Tränen. Das will ich nicht länger ertragen.

Ich spiele sehr ernsthaft mit dem Gedanken, so früh wie möglich auszusteigen. So will ich nicht mehr arbeiten. Und dabei habe ich noch lange nicht alles erzählt, was es zu diesem Thema zu erzählen gibt.

LG

Adolf


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